Was sind Förderkreise?

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Warum gibt es Förderkreise (FK)?

Die sieben deutschen Förderkreise setzen sich für weltweite Solidarität und soziale Gerechtigkeit ein. Sie leisten entwicklungspolitische Bildungsarbeit und bieten die Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Gutes Essen für alle: Was ist Ernährungssouveränität?

Gutes Essen für alle: Was ist Ernährungssouveränität?

6. Februar 2024 - von Ute Stefanie Beier

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Das Konzept der Ernährungssouveränität geht zurück auf die internationale Bewegung La Via Campesina. Sie wurde im Jahr 1993 gegründet und umfasst heute Mitglieder aus über 80 Ländern. La Via Campesina nennt sich die Stimme von „Millionen Bäuerinnen und Bauern, landlosen Arbeitern, indigenen Völkern, Viehzüchtern, Fischern, Wanderarbeitern, Landarbeitern, Klein- und Mittelbauern, landlosen Arbeitern, Landfrauen und der bäuerlichen Jugend aus der ganzen Welt“.[1] Die Bewegung spannt sich wie ein großes Dach über kleine und große lokale Organisationen. In Deutschland sind die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) und Brot für die Welt Teil der Bewegung.

Die bittere Ausgangslage

Vor welchem Hintergrund steht das Konzept und warum ist es so wichtig?
Die Weltbevölkerung kämpft mit multidimensionalen Krisen. Die Klimakrise, das Artensterben, die Kriege – sie vereint eine traurige Schnittmenge. Alle wirken sie negativ auf die weltweite Nahrungsmittelproduktion und -verteilung. Die Folgen sind Fehlernährung und Hunger. Die Dramatik der Ernährungssituation bestätigt der Welternährungsbericht der Vereinten Nationen 2023.[2] Fast jeder zehnte Mensch hungert. Eine Zahl, die mich, Autorin dieses Artikels, tieftraurig macht, denn es gibt genügend Nahrungsmittel auf der Welt.[3] Eine durch und durch besorgniserregende, inakzeptable Situation! Das Konzept der Ernährungssouveränität hat das Ziel, diese Lage zu verbessern. Dabei ist es Kritik und Antwort in einem. Kritik an der vorherrschenden internationalen Politik des Agrarfreihandels. Kritik an der bestehenden Marktmacht weniger Agrarkonzerne und an daraus resultierenden Abhängigkeiten bei Nahrungsmittel-, Saatgut- und Düngemittelimporten. Mit gleichzeitiger Antwort der Kleinbäuerinnen und -bauern bestehend aus praxisnahen, sozial- und umweltverträglichen Lösungsansätzen, die im Folgenden skizziert werden.

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Ernährungssouveränität ist Demokratie pur

La Via Campesina beschreibt ihren Ansatz folgendermaßen:

Ernährungssouveränität bekräftigt das Recht der Gemeinschaften, ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik selbst zu bestimmen und ökologisch nachhaltige und kulturell angemessene Anbaumethoden zu fördern, um eine gesunde Ernährung für alle zu gewährleisten.

Alle Menschen – ob sie nun Nahrungsmittel herstellen oder verzehren – sollen demnach im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Damit grenzt sich Ernährungssouveränität klar von der oft geforderten Ernährungssicherheit ab. Letztere fordert zwar die Versorgung aller Menschen weltweit mit ausreichend Nahrungsmitteln, berücksichtigt dabei jedoch nicht, unter welchen Umständen wer das Essen produziert, wer davon profitiert, ob es den Ernährungsgewohnheiten der Menschen entspricht und inwieweit ökologische Rahmenbedingungen, wie Bodenfruchtbarkeit, Niederschlagsregime und die Klimakrise berücksichtigt werden. Genau diese Faktoren sind im Konzept von La Via Campesina von entscheidender Bedeutung. Ernährungssouveränität setzt sich ein:

  • für agrarökologische Anbaumethoden
  • für den Erhalt natürlicher Ressourcen
  • für die Stärkung lokaler Märkte
  • für gerechte Handelsbeziehungen und faire Preisbildung
  • für existenzsichernde Einkommen
  • für die Weitergabe von Wissen
  • für Unabhängigkeit von großen Agrarkonzernen bei Saatgut und Düngemitteln
  • für die Sicherung des Zugangs zu fruchtbarem Land
  • für soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Mitbestimmung
  • für die Stärkung traditioneller Sorten und Vielfalt auf dem Teller 

Sie meint damit entschieden kein nationales Konzept der Selbstversorgung. Im Gegenteil: Sie steht für ein Handeln und Solidarität jenseits von Grenzen hinaus.[4]

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Blick auf den Globalen Norden  

Ernährungssouveränität ist ein Ansatz, der nicht nur für den Globalen Süden clevere und wichtige Ideen bereithält. Im Globalen Norden wäre sie Voraussetzung dafür, dass Verbraucher*innen eine wirkliche Wahl haben, die Lebensmittel zu konsumieren, die sie aus gesundheitlichen oder kulturellen Gründen bevorzugen. Das ist leider nicht der Fall. Die Strukturen im Agrarbereich sowie die oft fehlenden Informationen über die Herkunft, Verarbeitung und Inhaltsstoffe untergraben die Ernährungssouveränität inzwischen überall auf der Welt. Im Globalen Norden steht zwar eine Fülle an Lebensmitteln in den Supermarktregalen, diese spiegelt allerdings nicht die bestehende Vielfalt an Nutztierrassen, Kultur- und Wildpflanzen wider. Zu sehen am Beispiel der geliebten Kartoffel: In Deutschland sind rund 200 Sorten zugelassen. Im Einzelhandel werden jedoch nur etwa zehn davon angeboten. Auch „hierzulande“ ist also noch viel zu tun.

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Gelebte Ernährungssouveränität in der Wüste Ägyptens

Wie kann das Ganze in der Praxis aussehen? Nordöstlich von Kairo, inmitten der Wüste, befindet sich ein Paradebeispiel für Ernährungssouveränität in all ihrer Vielfalt. 1977 erwarben Dr. Ibrahim Abouleish und seine Frau Gudrun eine Fläche von 70 Hektar Wüstenland. Sie gründeten die SEKEM-Initiative und brachten mit dem Einsatz biodynamischer Methoden nach und nach die Wüste zum Leben. Die Haupterzeugnisse sind Obst, Gemüse und Heilkräuter in DEMETER-Qualität sowie Biobaumwolle.[5] Einen Teil davon produziert SEKEM für den Export. Erhältlich sind Tees, Kräuter, Datteln und Sesamprodukte in Deutschland zum Beispiel in der Drogerie dm oder bei BioCompany. Der Großteil der Erzeugnisse wird in Ägypten vermarktet und ist für die lokale Ernährung bestimmt. Bei Obst und Gemüse setzt SEKEM auf eine Vielzahl von Sorten, um Arten zu erhalten und flexibel auf Klimaveränderungen reagieren zu können.  
Was in den siebziger Jahren als kleines Agrarunternehmen begann, ist heute weit mehr! SEKEM gilt als weltweit führendes Sozialunternehmen, zu dem Schulen, Kindergärten, Berufsbildungsstätten, ein Krankenhaus und eine Universität für nachhaltige Entwicklung gehören. Dazu, dass SEKEM in dieser Weise wachsen und gedeihen konnte, haben im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Finanzierungen und Unternehmensbeteiligungen von Investor*innen wie der internationalen Genossenschaft Oikocredit beigetragen.[6] Heute leben, arbeiten und lernen auf über zweitausend Hektar ehemaligem Wüstenland mehrere tausend Menschen für SEKEM und inspirieren die Welt mit ihren Ideen.

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Tipp zum Weiterlesen mit ausführlicher Literaturliste:
Ernährungssouveränität: Definition, Hintergrund und Bedeutung (ernaehrungswandel.org)

Fotos: Opmeer Reports.


[6] Ägypten zählt nicht mehr zu den Fokusländern der Genossenschaft Oikocredit. Bei SEKEM sprechen wir über eine ehemalige Partnerorganisation im Bereich Finanzierungen.