Es geht nicht nur um Wachstum
„Beim Portfolio geht es nicht nur um das Wachstum, sondern auch um die Qualität“, sagt Laura Pool, Direktorin Finanzen und Risikomanagement bei Oikocredit. Im Interview spricht sie über die Finanzergebnisse der Genossenschaft, ihre Entwicklung als Organisation und darüber, wie Ergebnisse und Entwicklung Oikocredit durch die aktuelle Coronavirus-Krise helfen werden.
Was waren die Highlights bei den Finanzergebnissen 2019?
Leitmotiv unseres Jahresberichts war „Ein Jahr der Erneuerung“. In der Tat war 2019 ein Jahr des Übergangs für Oikocredit. Wir haben strategische Entscheidungen getroffen, die ein gesundes, zuverlässiges und nachhaltiges Wachstum mit maximaler sozialer Wirkung verbinden, und wir haben es geschafft, positive Finanzergebnisse zu erzielen.
Wir haben unsere recht ehrgeizigen Wachstumsziele zwar nicht ganz erreicht, aber uns geht es auch nicht nur um das zahlenmäßige Wachstum, sondern um die Qualität hinter den Zahlen. Die Qualität unseres Portfolios stellen wir sowohl durch konsequente Risikoanalyse als auch durch die Anwendung spezifischer Kriterien für Umwelt-, Sozial- und Governance-Verhalten (ESG-Kriterien) bei der Auswahl unserer Partner sicher.
In einigen Bereichen, in denen wir eine Zunahme der Risiken beobachteten, haben wir das Wachstum sogar bewusst verlangsamt. Das gilt insbesondere für manche Länder in Lateinamerika, in denen die politische Ungewissheit groß ist, aber auch innerhalb des Landwirtschaftsportfolios. Die Risiken im Landwirtschaftssektor sind grundsätzlich hoch, doch können wir gerade hier auch mit unseren Finanzierungen viel positiv bewirken.
Es ist uns gelungen, unsere Kosten planmäßig zu senken. Gleichzeitig haben wir unsere Preise realistischer und finanziell nachhaltiger gestaltet, sodass wir unsere Arbeit fortsetzen können. Insgesamt bin ich zufrieden mit den positiven Finanzergebnissen. Sie sind eine gute Grundlage für unsere weitere Arbeit. Wir werden unsere Prognosen selbstverständlich anpassen, wenn wir mehr Informationen zu den Auswirkungen des Coronavirus haben, aber es ist beruhigend zu wissen, dass wir aus einer Position der Stärke agieren.
Wie wirkt sich die Coronavirus-Pandemie auf die Arbeit der Genossenschaft aus, und wie geht Oikocredit damit um?
Wir setzen unsere Geschäftstätigkeit fort und behalten die Situation genau im Auge. An vielen unserer Standorte arbeiten unsere Mitarbeiter*innen jetzt von zuhause aus, jeweils unter Beachtung der vor Ort geltenden Regeln. Da wir eine gute Infrastruktur pflegen und in den 19 Ländern, in denen wir Büros haben, gut miteinander vernetzt sind, funktioniert das sehr gut.
Wir arbeiten eng mit unseren über 600 Partnerorganisationen zusammen. So sind wir stets auf dem Laufenden über die tatsächlichen und potenziellen Auswirkungen von Covid-19 auf unsere Partner. Manche Partner brauchen unter Umständen mehr Zeit für die Rückzahlung ihrer Kredite.
Noch lassen sich die Folgen der Coronavirus-Pandemie nicht in letzter Konsequenz abschätzen. Die einkommensschwachen Menschen, die unsere Partnerorganisationen betreuen, werden jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach besonders schwer vom Coronavirus und seinen wirtschaftlichen und sozialen Folgen betroffen sein. Das bedeutet, dass unsere Partner und die von ihnen betreuten Gemeinschaften jetzt besondere Unterstützung brauchen.
Fraglos machen sich auch unsere Anleger*innen über die Lage in ihren jeweiligen Ländern und ihre eigene finanzielle Situation Sorgen. Wir sind ihnen sehr dankbar dafür, dass sie Oikocredit so anhaltend unterstützen. Denn die aktuelle Situation unserer Partner erfordert Geduld – wir müssen mittelfristig gemeinsam Lösungen finden. Bei früheren Krisen in den Ländern, in denen wir arbeiten, haben unsere Partner ihre Belastbarkeit und Flexibilität vielfach unter Beweis gestellt. Darum freuen wir uns auch in diesen ungewissen Zeiten darauf, unsere gemeinsame Arbeit mit ihnen fortzusetzen.
Die Anlegerbasis hat sich 2019 um 2.000 Anleger*innen erhöht. Aktuell beläuft sich die Zahl der Privatpersonen und Organisationen, die bei Oikocredit investieren, auf insgesamt 59.000. Was bedeutet das für die Genossenschaft?
Unsere Anleger*innen sind für unser Wachstum und unsere Finanzstabilität von entscheidender Bedeutung: Sie stellen die Finanzmittel zur Verfügung, die wir brauchen, damit unsere Partnerorganisationen einkommensschwache Menschen und Gemeinschaften unterstützen können. 2019 stiegen die Mittel, die uns insgesamt für Projektfinanzierungen zur Verfügung stehen, um 3,5 Prozent; unser Mitgliederkapital legte um 4,4 Prozent zu. Diese positive Entwicklung verdanken wir nicht zuletzt unserem Netzwerk von Förderkreisen sowie deren Mitarbeiter*innen und ehrenamtlich Aktiven.
Sozial verantwortliches Investieren wird zunehmend beliebter, entsprechend gibt es jetzt auch mehr Wettbewerber in diesem Segment. Insofern freuen wir uns ganz besonders über das Vertrauen, das so viele private und institutionelle Anleger*innen Oikocredit als sozialer Investorin entgegenbringen. Das in uns gesetzte Vertrauen ist gerade jetzt wichtig für uns: Wir wollen so aufgestellt sein, dass wir unseren Partnern und den von ihnen betreuten einkommensschwachen Gemeinschaften die benötigte zusätzliche Unterstützung anbieten können.
Beim Geschäftsbericht stehen selbstverständlich die Zahlen im Mittelpunkt. Gibt es etwas, das Sie hinzufügen möchten?
Wenn Sie sich den vollständigen Geschäftsbericht durchlesen, werden Sie feststellen, dass dahinter mehr als Zahlen stecken. Der Bericht zeigt, dass Oikocredit konsequent an ihrer Vision und ihrem Auftrag festhält: Im Rahmen unserer Finanzstrategie hat soziale Wirkung Vorrang vor Wachstum. Zugleich spiegelt der Bericht das Vertrauen wider, das unsere Anleger*innen in uns setzen, sowie die großartige Leistung jeder und jedes Einzelnen, die oder der dazu beigetragen hat, 2019 zu einem außerordentlich positiven Jahr für Oikocredit zu machen – und damit auch für unsere Partner und die von ihnen betreuten einkommensschwachen Gemeinschaften. Wir möchten allen, die das möglich gemacht haben, ganz herzlich danken.
Sie sind erst seit etwas mehr als zwei Jahren bei Oikocredit. Wie hat sich die Genossenschaft seitdem entwickelt?
Ich war von Anfang an beeindruckt von der Kompetenz und dem Engagement der Menschen, die bei Oikocredit arbeiten oder sich ehrenamtlich für die Genossenschaft einsetzen. Die letzten Jahre standen im Zeichen der organisatorischen Änderungen, die 2018 begonnen haben. Diese Änderungen waren ganz entscheidend, damit Oikocredit in einer sich ständig wandelnden Welt bedeutsam bleiben kann, und um unser Fundament für die Zukunft zu stärken – für die Menschen, die wir mit unserer Arbeit erreichen möchten. Wir vergeben zwar in bestimmten Regionen und Sektoren keine neuen Finanzierungen mehr, da wir stärker fokussieren, dennoch ist unser Portfolio weiterhin stark diversifiziert.
Wir haben unsere Leistungsfähigkeit gestärkt, unsere Prozesse präzisiert und sind jetzt in einer besseren Position, um die bestmögliche soziale Wirkung zu erreichen – dort, wo sie am meisten gebraucht wird.. Ohne eine Anpassung unserer Arbeitsweise wäre das nicht möglich gewesen. Mir wird jetzt häufig die Frage gestellt, wie man dies oder jenes besser, schneller und mit geringeren Kosten erreichen kann. Das überrascht und erfreut mich. Es ist nicht zuletzt Oikocredits Kultur der Gemeinsamkeit und der kontinuierlichen Verbesserung zu verdanken, dass der Organisationswandel erfolgreich umgesetzt werden konnte und selbst in dieser Übergangszeit positive Ergebnisse erzielt wurden. Eben diese Kultur wird, davon bin ich überzeugt, dazu beitragen, dass wir die Herausforderungen der Coronavirus-Pandemie bewältigen.
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