Finanzielle Inklusion – wie wählt Oikocredit Partnerunternehmen aus?
Weltweit haben 1,4 Milliarden Erwachsene keinen Zugang zu Basis-Finanzdienstleistungen, die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Finanzielle Inklusion zielt darauf ab, diesen Menschen Perspektiven zu ermöglichen. Ein Ansatz besteht darin, ihnen Zugang zu Krediten zu gewähren. Dieser Prozess wird oft von Schulung- und Beratungsangeboten begleitet. Selbst wenn es sich um kleine Kredite handelt, kann die Wirkung groß sein. Die Gelder ermöglichen es den Kreditnehmern*innen, eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzubauen, ihren Landwirtschaftsbetrieb zu erweitern, ihre Kinder auszubilden oder durch Naturkatastrophen und Krankheiten verursachte Krisen zu bewältigen.
In den 1970er Jahren begann Oikocredit, Kredite an Organisationen zu vergeben, die sich für finanzielle Eingliederung einsetzen. Heute hat die Genossenschaft über 300 Partnerunternehmen in diesem Bereich in Afrika, Asien und Südamerika. Dave Smit, Direktor für Impact Investments bei Oikocredit, gibt im nachfolgenden Interview Einblicke in die Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen. (Interview: Ute Stefanie Haak)
Auf der Website von Oikocredit Deutschland heißt es: "Oikocredit ist überzeugt: Geld kann Gutes bewirken. Es kann Menschen Chancen eröffnen und eine positive Wirkung haben." Diese Wirkung erzielt die Genossenschaft mit Hilfe ihrer Partnerunternehmen. Nach welchen Kriterien wählt Oikocredit diese Unternehmen aus?
Die Auswahl der richtigen Partner ist für Oikocredit fundamental. Vom ersten Handschlag bis zum endgültigen Vertrag kann viel Zeit vergehen, was gerechtfertigt ist, da wir bei der Auswahl der Partner sehr sorgfältig vorgehen. Um eine gründliche Sorgfaltsprüfung zu gewährleisten, verwendet Oikocredit zwei Methoden, sogenannte Scorecards. Die Erste ist die PVR - die “Project Viability Risk Scorecard”, die die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens bewertet.
Die Zweite ist die ESG-Scorecard („Environmental Social Governance Scorecard”). Sie analysiert die ökologischen und sozialen Auswirkungen aber auch die Unternehmensführung eines potenziellen Partners. Oikocredit berücksichtigt dabei sieben wichtige Faktoren, darunter zum Beispiel die Maßnahmen gegen die Überschuldung von Endkund*innen und die Gewährleistung einer fairen und transparenten Preisgestaltung. Diese Kriterien und Schutzprinzipien beruhen auf internationalen „Best Practices“ und Marktstandards für wirkungsorientierte Investitionen.
Das macht deutlich, warum das Verfahren so lange dauert...
Dieser langwierige Prozess ist aber kein negativer Aspekt. Oikocredit pflegt in der Regel langjährige Beziehungen mit den Partnerunternehmen. Viele von ihnen erhalten wiederholt Kredite und die aktive Zusammenarbeit dauert oft länger als zehn Jahre. Das Partnerunternehmen, zu dem Oikocredit die längste Beziehung unterhält, ist die „Banco Pyme de la Comunidad“ in Bolivien. Im Juni 1990, also vor 33 Jahren, haben wir das erste Darlehen für sie bewilligt.
Wenn wir uns die Kundinnen und Kunden der Partnerunternehmen ansehen: Überwacht Oikocredit, ob für sie positive soziale Auswirkungen erzielt werden?
Auf jeden Fall. Oikocredit überprüft dies konsequent mit Hilfe der ESG-Scorecard. Die soziale Wirkung wird zu Beginn der Geschäftsbeziehung bewertet und die Fortschritte werden während der Laufzeit der Zusammenarbeit jährlich überprüft. Dieses Verfahren ist wichtig, um die Wirkung und den Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit zu messen. Oikocredit hat ein eigenes Team dafür, das „Social Strategy and Social Impact Team” ("Team für soziale Strategie und soziale Wirkung”), hier in der Unternehmenszentrale in Amersfoort/Niederlande. Die Überwachung und Bewertung der sozialen Effekte für die Endkund*innen liegt in der gemeinsamen Verantwortung dieses Teams und unserer lokalen Teams in den Ländern des Globalen Südens, in denen wir tätig sind.
Können Sie uns einen Einblick in die Arbeit dieser Teams geben?
Wir sind im ständigen Austausch mit unseren Partnern weltweit. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel in Zusammenarbeit mit 19 Partnern und anderen Organisationen eine Endkund*innenbefragung durchgeführt. Es wurden 16.500 Kund*innen befragt. Wir haben 30 Fragen in den jeweiligen Landessprachen gestellt; Fragen in Bezug auf ihr Wohlbefinden, die Auswirkungen ihrer Kredite und die Folgen des Klimawandels.
Die Umfrage hat uns interessante Ergebnisse geliefert: 90 Prozent der Kund*innen gaben an: "Ja, der Kredit, den ich indirekt von Oikocredit erhalten habe, hat sich positiv auf mein Wohlbefinden ausgewirkt". Dieses Feedback ist für uns sehr wichtig,um zu wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Soweit ich weiß, ist Oikocredit die einzige Impact Investorin, die diese Endkund*innenbefragung durchführt. Wir planen, die Umfrage in diesem Jahr zu wiederholen und mehr als 30 Partner einzubeziehen.
Hilft die Befragung bei der Kontrolle möglicher negativer Nebenwirkungen?
Ja, natürlich. Wir haben die Antworten der Kund*innen – die 10 Prozent, die keinen positiven Effekt wahrgenommen haben – genau untersucht. Mit den Erkenntnissen aus der Studie wollen wir diese Zahl durch die Entwicklung neuer Produkte oder Initiativen verringern. In Ecuador gaben die Befragten zum Beispiel an, dass sie manchmal über Bargeld verfügen, aber keinen sicheren Ort haben, um es für einen kurzen Zeitraum aufzubewahren. Auf Grundlage dieser Informationen hat unser Partner ein spezielles Angebot für kurzfristiges Sparen entwickelt, um diesen Bedarf zu decken.
Treffen Sie sich regelmäßig persönlich mit den Partnern?
Ja, regelmäßige persönliche Treffen sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Zusammenarbeit. So können wir unsere Beziehungen stärken und die Arbeit und die Initiativen vor Ort besser verstehen. In den letzten zwei Monaten habe ich die Côte d'Ivoire und Indien besucht, um mich mit unseren Partnern vor Ort zu treffen und Einblicke aus nächster Nähe zu erhalten. Diese Besuche tragen dazu bei, noch engere Verbindungen zu knüpfen und eine noch effizientere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Meine nächsten Reisen nach Südamerika und Nigeria sind bereits in Planung.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Fotos: Opmeer Reports.