Kredite geben ist nicht genug
Caroline Mulwa, Regionaldirektorin Oikocredit Afrika, und ihr Kollege Curtis Musembi aus Kenia reisten im September durch Europa, um sich mit Mitarbeitenden der Förderkreise, Vertreter*innen der Genossenschaft, Investor*innen und Interessierten zu treffen. Im Gespräch erklärte Caroline Mulwa, wie das Team von Oikocredit Afrika arbeitet, wie es Partnerunternehmen in der Pandemie unterstützt hat und welche Chancen sie in der neuen Strategie von Oikocredit sieht. (Interview: Dr. Maximilian Held)
Als Regionaldirektorin betreuen Sie und Ihr Team die Geschäfte auf dem afrikanischen Kontinent. Nehmen Sie uns gedanklich mit. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Caroline Mulwa: Die meiste Zeit verwenden wir für die Arbeit mit bestehenden Partnerunternehmen. Wir beschäftigen uns mit administrativen Aufgaben wie Rechnungen und der jährlichen Überprüfung der Partnerunternehmen nach den strengen Kriterien von Oikocredit in Sachen Umwelt, Sozialstandards und Unternehmensführung. Ebenfalls betreiben wir ein Monitoring, bei dem wir uns mit den Partnerunternehmen zusammensetzen, um deren Potenziale und Risiken zu beleuchten.
Heißt das, Sie sind viel in der Region unterwegs, um die Menschen in den Partnerunternehmen zu besuchen?
Caroline Mulwa: Genau. Natürlich sind wir aufgrund der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 weniger gereist, aber wir nehmen mittlerweile unsere jährlichen Treffen mit unseren Partnerunternehmen wieder auf. Wir setzen uns mit ihnen zusammen, um zu verstehen, welche Herausforderungen sie beschäftigen und ihre Performance des vergangenen Jahres zu analysieren. Zudem nutzen wir die Möglichkeit, Bedarfe zu identifizieren, sei es nach Beratung und Schulungen oder nach neuen Krediten. In der Regel besuchen wir auch ein bis zwei Endkund*innen, um deren Sichtweisen auf unsere Partnerunternehmen zu verstehen.
Für welche Länder sind Sie und Ihr Team zuständig?
Caroline Mulwa: Wir sind derzeit in 13 Ländern in Afrika aktiv und haben Büros an drei verschiedenen Standorten. Unser Regionalbüro für Afrika befindet sich in Nairobi und ist gleichzeitig Länderbüro für die Region des südlichen und östlichen Afrikas. Von Nairobi aus unterstützen wir Partnerunternehmen in Kenia, Uganda, Ruanda, Malawi und Sambia. Das Länderbüro in Lagos konzentriert sich auf die englischsprachigen Länder in Westafrika, Nigeria und Ghana. Schließlich haben wir noch ein Büro in Abidjan, von dem aus wir Partnerunternehmen in Côte d’Ivoire, Benin, Senegal, Mali, Burkina Faso und Niger betreuen.
Wie viele Mitarbeitende hat Oikocredit Afrika und was sind ihre Aufgaben?
Caroline Mulwa: Insgesamt haben wir 30 Mitarbeiter*innen, die Hälfte davon arbeitet im Regionalbüro in Kenia. Rund 70 Prozent sind direkt mit den Investments befasst, pflegen die Beziehungen zu den bestehenden Partnerunternehmen, schauen sich nach neuen Geschäftsmöglichkeiten um oder sind mit administrativen und operativen Tätigkeiten betraut. Je nach Schwerpunkt liegt der Fokus der Mitarbeitenden auf den Bereichen finanzielle Inklusion, Landwirtschaft oder erneuerbare Energien. Das Schöne an der Arbeit im Investment-Team ist, dass die Mitarbeitenden unsere Partnerunternehmen von Anfang bis Ende eng begleiten und sie richtig gut kennenlernen.
Andere Kolleg*innen kümmern sich um Finanzen, die soziale Performance und das Vertragsmanagement. Bevor wir einen einzigen Schilling ausbezahlen, müssen wir sicher sein, dass alle Verträge mit unseren Partnerunternehmen korrekt geschlossen wurden.
Die Coronapandemie hat das Team sicher vor besondere Herausforderungen gestellt. Wie hat sich diese Situation auf die Arbeit von Oikocredit Afrika ausgewirkt?
Caroline Mulwa: Am Anfang war es hart. Die wirtschaftlichen Aktivitäten sind in den afrikanischen Ländern stark heruntergefahren worden. Besonders traf es den Bildungs- und Tourismussektor. In vielen Ländern sind die Schulen für einen langen Zeitraum komplett geschlossen worden. Für viele Menschen bedeutete die ökonomische Situation einen Einkommensverlust. Wir haben rasch erkannt, dass dies auch Personen traf, die Kredite bei Mikrofinanzinstitutionen aufgenommen hatten. Aus diesem Grund haben wir regelmäßig unsere Partnerunternehmen angerufen und gefragt, wie es ihnen und ihren Kund*innen geht. In der schwersten Phase der Pandemie haben wir von unseren Partnerunternehmen über ein neu geschaffenes Monitoring-Instrument alle zwei Wochen Informationen zur Liquidität und Performance bekommen.
Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um Partnerunternehmen zu unterstützen?
Caroline Mulwa: Dank des engen Austauschs mit den Partnerunternehmen konnten wir schnell auf Probleme reagieren und für rund 30 bis 40 Prozent die zeitlichen Vorgaben für die Kredite anpassen. Das heißt, wir haben zusätzliche Zeit bei der Kreditrückzahlung gewährt. Dabei haben wir darauf geachtet, dass die Konditionen an die Endkund*innen weitergegeben wurden. Wenn eine Mikrofinanzinstitution für ihre Kund*innen Aufschübe von sechs Monaten gewährte, haben wir der Mikrofinanzinstitution, der wir einen Kredit gegeben hatten, ebenfalls zusätzliche sechs Monate Zeit für die Rückzahlung gegeben. Dadurch haben wir einen positiven Erholungseffekt festgestellt. Aktuell können wir sagen, dass wir keine Kredite mehr haben, die wegen der Pandemie schlecht laufen. Das haben wir gut hinbekommen!
Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Oikocredit hat sich für die Jahre 2022 bis 2026 eine neue, auf die Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften ausgerichtete Strategie gegeben. Was bedeutet das für die Arbeit von Oikocredit Afrika?
Caroline Mulwa: Wir haben gesehen: Kredite geben ist nicht genug. In der neuen Strategie implementieren wir deshalb einen Lernprozess, bei dem es darum geht, herauszufinden, wie wir Gemeinschaften weiter nachhaltig stärken können. Wir sprechen mit unseren Partnerunternehmen über unsere neue Strategie und erfahren so, wo sie Handlungsbedarf sehen. Dabei nehmen wir die Bereiche Bildung, Gesundheit und den bezahlbaren Wohnraum besonders in den Blick. Die Expertise kommt von externen Organisationen wie z. B. im Bildungsbereich von Opportunity International. Zusammen mit diesen Organisationen und unseren Partnerunternehmen schauen wir, wie wir auf lokaler Ebene noch innovativer und offener mit unseren Partnern zusammenarbeiten können.