Vom Wissen zum Handeln: Bildungsarbeit als Schlüssel zu mehr Gerechtigkeit
Bildung gilt gemeinhin als Schlüssel zu Entwicklung und Faktor für den sozialen Aufstieg. Und Bildung ist ein Menschenrecht, was sich im Ziel 4 der UN-Entwicklungsziele explizit widerspiegelt. Darin heißt es, dass alle, Kinder, Jugendliche, Erwachsene und vor allem die Ärmsten und am meisten Benachteiligten, Zugang zu einer hochwertigen Grund- und Berufsbildung erhalten sollen, die an die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände angepasst sein muss.
Es gibt nur eins, was auf die Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung (J. F. Kennedy)
Doch Bildung geht weit über eine formale Schul- und Berufsausbildung hinaus – Konzepte wie das Globale Lernen, Bildung für nachhaltige Entwicklung oder transformative Bildung sind wertebasiert und verfolgen das Ziel, die komplexer werdenden globalen Verflechtungen zu entwirren und Menschen, gleich welchen Alters, neben der Informationsvermittlung den Erwerb von Handlungskompetenzen zu ermöglichen. Im Folgenden wird das Konzept des Globalen Lernens erläutert und abschließend in seiner Bedeutung für die Arbeit von Oikocredit dargestellt.
Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern dass Entzünden von Flammen (Heraklit)
Was bedeutet Globales Lernen? „Globales Lernen ist kein festumrissenes pädagogisches Programm, sondern vielmehr ein offenes, vorläufiges, facettenreiches Konzept zeitgemäßer Allgemeinbildung. Globales Lernen versteht sich als die pädagogische Antwort auf die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung der Weltgesellschaft, als die notwendige Transformation pädagogischen Denkens und
Handelns im Kontext einer sich globalisierenden Gesellschaft.“ (Globales Lernen: Portal Bildung für Nachhaltige Entwicklung (bildungsportal-niedersachsen.de).
Der Begriff des Globalen Lernens fand Anfang der 1990er Jahre als Weiterentwicklung der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit Eingang in die Bildungsarbeit. Resultierend aus den weltweiten Krisen wie dem Klimawandel, der Umweltverschmutzung, Konflikten und Verletzung von Menschenrechten stehen Kernfragen wie die nach sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit, der Ressourcennutzung und der Zukunftsfähigkeit des Planeten im Mittelpunkt. Globales Lernen bedeutet, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was die Lebensweise und das Konsumverhalten der Menschen in den sogenannten „Industrieländern“ (im Folgenden als Länder des Globalen Nordens bezeichnet) mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in den Ländern des Globalen Südens (frühere Bezeichnung „Entwicklungsländer“) zu tun haben.
Weil „Alles mit allem zusammenhängt!“
Ziel des Globalen Lernens ist es, das Verständnis über globale Zusammenhänge zu fördern, um darauf aufbauend gemeinsam Handlungsoptionen zu diskutieren, wie wir die Welt enkeltauglich, sozial gerecht und nachhaltig gestalten können. Beim Globalen Lernen werden die Verflechtungen reflektiert, die das lokale Handeln (z. B. Konsum, Ernährungsgewohnheiten, Mobilität etc.) auf globaler Ebene entfalten, frei nach dem Motto „Alles hängt mit allem zusammen“. Am Beispiel der günstigen Kleidung, deren Produktion zu einem großen Teil unter ausbeuterischen Bedingungen in Ländern des Globalen Südens stattfindet, oder des Fleischkonsums, der zum Raubbau an den Regenwäldern im Amazonas führt, können solche Zusammenhänge verdeutlicht werden. Dabei geht es nicht um moraltriefende Wissensvermittlung, sondern darum, einen Perspektivwechsel anzuregen und Handlungsmuster zu hinterfragen.
Verstehen, Reflektieren, Analysieren, Handeln…
Wissen und Informationen vermitteln, miteinander Widersprüche konstruktiv analysieren, diskutieren (und aushalten) sowie potenzielle Lösungen für Probleme finden, bilden das Grundgerüst jeden Lernens. Das Globale Lernen bietet darüber hinaus einen vollgepackten Methodenkoffer an, mit dem die Beteiligten interaktiv und spielerisch mit allen Sinnen Wissen erfahren und einen Perspektivwechsel vornehmen können. Das erfordert die Bereitschaft, die eigenen Ideen und Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen und ggf. Handlungsroutinen zu ändern. Globales Lernen setzt jedoch nicht nur auf der individuellen Ebene an, sondern soll Menschen ermutigen, sich auch politisch, z. B. für ein Lieferkettengesetz, zu engagieren, um strukturelle Veränderungen zu erreichten.
Herausforderung: Wirkungen der Bildungsarbeit messen!
Wie erfassen wir die Wirkungen unserer Bildungsaktivitäten? Wie messen wir, ob unsere Formate zu neuen Perspektiven oder sogar zu Veränderungen im Konsumverhalten oder im politischen Engagement der Beteiligten führen? Tatsächlich gehören diese Fragen zu den großen Herausforderungen unserer Arbeit, mit denen wir uns zukünftig intensiver beschäftigen werden. Bildungsangebote wirken vielschichtig und über längere Zeiträume. Dass Menschen nach einem Vortrag über z. B. den Fairen Handel nur noch zertifizierte Produkte kaufen, ist unrealistisch. Bei der Frage nach den Wirkungen sollten wir realistischerweise anerkennen, dass wir mit unseren Bildungsaktivitäten, wenn alles rund läuft, Menschen dazu anregen, sich für eine nachhaltigere Wirtschaft und ein faires Finanzsystem stark zu machen, sei es nun auf individueller Ebene als Konsument*in oder auf politischer Ebene als Aktivist*in.
Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen (Johann Wolfgang von Goethe)
Für Oikocredit ist die Bildungsarbeit ein wichtiger Bestandteil in der Kooperation mit Partnerorganisationen – wir sprechen dann von „Capacity Building“, also dem Aufbau von Kapazitäten und Wissen, z. B. bei Fragen der Vermarktung in landwirtschaftlichen Kooperativen, dem Aufbau digitaler Systeme in Finanzinstitutionen zur Kostensenkung und der Weiterbildung von Frauen, damit sie in höheren Managementpositionen einnehmen können. Darüber hinaus hat Oikocredit den Anspruch, durch vielfältige Bildungsformate Anleger*innen, Mitarbeiter*innen und die interessierte Öffentlichkeit über globale Themen wie Ernährungssouveränität, Fairen Handel, Geschlechtergerechtigkeit etc. zu sensibilisieren und über die Wirkungen nachhaltiger Geldanlagen zu informieren. Der Austausch mit Partnerorganisationen aus dem Globalen Süden, das Kennenlernen von und Gespräche mit Mikrofinanzkund*innen gehören dabei zu den eindrücklichsten Lernerfahrungen.
Dr. Christina (Nina) Alff, Bildungsreferentin beim Förderkreis Baden-Württemberg, verbrachte viele Jahre im Auslandseinsatz u.a. in Westafrika. Die promovierte Geographin setzt sich besonders für die Themen Geschlechtergerechtigkeit und gerechter Welthandel ein. Als Trainerin arbeitete sie unter anderem für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).