Corona-Schlaglicht aus Kenia: Der "Water Man" (Teil 1/3)
Covid-19 ist allgegenwärtig und übermächtig. Dennoch können wir alle - ob in Deutschland oder in Kenia - einen Beitrag zu seiner Eindämmung leisten. Elikanah Ng'ang'a aus dem Oikocredit-Büro Ostafrika berichtet von einem inspirierenden Beispiel, dem "Water Man", einem Mann, der bereit ist, das wenige, das er hat einzusetzen und den Kampf mit dem Virus in einer Millionenstadt aufzunehmen.
Es ist Mitte Mai. Während ich mich auf meinen gewohnten Platz zurückziehe, um die Abendnachrichten im Fernsehen zu verfolgen, beschäftigt mich Covid-19 stärker als an jedem anderen Tag seit Ausbruch des Coronavirus in Kenia. Ein Grund dafür könnte die rasch wachsenden Fallzahlen in den informellen Siedlungen von Nairobi sein, insbesondere im Slum von Kibera, dem größten städtischen Slum auf dem afrikanischen Kontinent. Fast eine Million Menschen leben dort. Es ist nahezu unmöglich, Abstand voneinander zu halten. Vor 23 Jahren habe ich selbst dort gelebt. Damals war ich arbeitslos. Später, als Kreditsachbearbeiter bei einer örtlichen Mikrofinanzinstitution, freundete ich mich mit Kleinstunternehmer*innen in Kibera an.
Deprimierende Aussichten
Vor dem Fernseher warte ich verzweifelt auf gute Nachrichten. Aber die Sendung beginnt mit der gewohnten Aktualisierung der Covid-19-Statistik. Dann folgen Warnungen der Regierung, was passieren kann, wenn die Menschen die Anweisungen des Gesundheitsministeriums nicht befolgen. Die Regierung hat die Bewegungsfreiheit in den Städten Nairobi und Mombasa sowie in vier weiteren Bezirken wegen der hohen Zahl von Covid-19-Fällen eingeschränkt und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. In den Nachrichten wird über einen jungen Mann berichtet, der 300 Kilometer von Mombasa nach Machakos gereist ist, dabei verschiedene Straßensperren der Polizei umgangen und am Ende seine Schwester infiziert hat.
Die Nachrichten gehen weiter. Ich denke, dass dies ein weiterer Tag sein wird, der ohne jeden Hoffnungsschimmer endet. Um unsere kleinen Kinder vor den Neuigkeiten über Covid-19 zu schützen, haben meine Frau und ich vereinbart, nur die Nachrichten um 21 Uhr anzusehen. Vor dem Schlafengehen lesen wir den Kindern Geschichten aus der Bibel vor, um sie zu beruhigen. An diesem Abend bin ich gerade dabei, den Fernseher auszuschalten, damit wir den Kindern vorlesen können.
Der Water Man
Da kommt sie, die eine gute Nachricht, die ich so verzweifelt erwartet habe: Es ist die Geschichte von John Njenga, einem Mann, den die Bewohner*innen von Nairobi den „Water Man“ nennen. Vor dem Ausbruch des Coronavirus hatte Njenga einen Job, aber wie mehr als 1,3 Millionen andere Menschen in Kenia wurde auch er durch die Pandemie arbeitslos. Er war Schulbusfahrer, bevor aufgrund von Covid-19 die Schule geschlossen und seine Arbeit nicht mehr gebraucht wurde. Glücklicherweise hatte Njengas Frau weiter das Einkommen von ihrem Marktstand, der im Freien steht und daher weiter betrieben werden durfte.
Was mich an der Geschichte von John Njenga am meisten beeindruckt hat, ist, dass er sich nicht in seinem Haus eingeschlossen hat, um über das unbesiegbare Virus zu klagen. Er hat beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen und dabei zu helfen, die Covid-19-Kurve flach zu halten. Mit seinen geringen Ersparnissen von rund 40 Euro hat er einen 200-Liter-Wassertank und vier kleinere 20-Liter-Wasserbehälter gekauft und sich auf den Weg ins Stadtzentrum von Nairobi gemacht. Er wusste: Es braucht gute Hygienemaßnahmen, um sich nicht zu infizieren und das Virus nicht weiterzutragen. Aber die Wasserversorgung in Nairobi ist mangelhaft. Erst am Vortag war bekannt gegeben worden, dass aufgrund der heftigen Regenfälle in einigen Gebieten die Leitungen gebrochen waren und einige Stadtteile kein Wasser hätten.
Der Beitrag von CitizenTV über John Njenga ist auf YouTube eingestellt.
John Njenga erhielt vom städtischen Gesundheitsdirektor die Erlaubnis, seinen Wassertank an einem zentralen Ort aufzustellen, wo Tausende Menschen vorbeikommen und sich nun die Hände waschen können. Er benutzt die kleinen Wasserbehälter, um Wasser aus einem anderen Teil der Stadt zu holen und den Tank regelmäßig aufzufüllen. Das Nachfüllen kann unter der glühenden Hitze der Sonne stundenlang dauern.
Steter Tropfen...
Weil die Ticketpreise wegen der Abstandsregeln und der geringeren Auslastung in den Bussen angestiegen sind, legt Njenga seinen Weg zum Nachfüllen teils zu Fuß zurück. Trotz der Opfer, die er jeden Tag bringt – manchmal betreut er den Wassertank auch mit leerem Magen – bereite es ihm Freude zu sehen, wie viele Menschen sich mit seinem Wasser die Hände waschen, sagt er. Er sagt, wenn er etwas dazu beitragen kann, die Kurve abzuflachen, auch wenn die Tat noch so klein ist, wird er es tun. Weil es Sinn macht. John Njenga erklärt: „Auch wenn ich nur einer Person helfe sich nicht zu infizieren, könnte dies die Person gewesen sein, die das Virus auf viele andere übertragen hätte.“ Diese Geschichte hat mich unglaublich motiviert. Hier ist ein arbeitsloser Mann, der mit seinen einzigen Ersparnissen versucht, etwas zu verändern.
Sammelaktion von Oikocredit-Mitarbeiter*innen in Kenia
Im April haben Oikocredit-Mitarbeiter*innen in Kenia rund 700 Euro gesammelt, um Lebensmittel für Menschen zu kaufen, die ihre Lebensgrundlage verloren haben. Im Vergleich zu dem, was John Njenga getan hat, kam mir das mit einem Mal mickrig vor. Die meisten meiner Kolleg*innen in Kenia haben mit ihren Einkommen auch Verwandte unterstützt, die in dieser Zeit ihre Arbeit verloren haben. Selbst das ist nichts im Vergleich zu dem, was der Water Man für Menschen getan hat, die weder seine Verwandten noch seine Freund*innen sind. Wir geben aus unserem Überfluss, aber John Njenga gibt aus seiner Armut heraus.
Auch der kleinste Beitrag zählt
Seine Geschichte hat mir gezeigt, dass wir in diesem Kampf nicht hoffnungslos sind und dass jeder Mensch etwas geben kann. Es könnten Lebensmittel, Wasser, Seife, eine Maske oder ein Mobiltelefon sein, damit digitale Zahlungen getätigt werden können. Und es könnte auch Wissen sein, wie es einige Berater*innen getan haben, indem sie ihre Dienste nicht in Rechnung stellten. Es könnte auch ein Investor oder eine Investorin sein, der oder die sicherstellt, dass Mittel zur Finanzierung von Unternehmen zur Verfügung stehen, um diese Zeit zu überleben.
Seit drei Monaten sind wir fast wöchentlich in Kontakt mit unseren Partnerorganisationen. Die Geschäftsführung von Oikocredit hat im Voraus genehmigt, dass z.B. Rückzahlungen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden oder dass auf bestimmte Vertragsvereinbarungen verzichtet wird. Diese Maßnahmen sollen den Partnern helfen, die schwierige Zeit zu überstehen, so dass sie ihre Kundschaft auch in Zukunft unterstützen können.
Es gibt Kolleg*innen, die Spenden gesammelt haben, damit wir unseren Partnern ermöglichen, Masken und Schutzausrüstung für ihre Mitarbeiter*innen und Kund*innen zur Verfügung zu stellen. Wir haben auch gesehen, wie Kolleg*innen ihr Wissen in Online-Seminaren weitergegeben haben. Auch wenn wir also vielleicht nicht dazu berufen sind, einen schweren Wassertank in die Innenstadt von Nairobi zu tragen, können wir doch etwas dazu beitragen, die Auswirkungen von Covid-19 zu mildern.
Im zweiten Teil meines Blogs, der ebenfalls hier veröffentlicht wird, möchte ich Ihnen zeigen, wie einfallsreich und engagiert auch unsere Partnerorganisationen Solidarität praktizieren und die Menschen, für die sie aktiv sind, in der Pandemie unterstützen.