Kleinbäuerliche Landwirtschaft sicherer machen
Wetterindexversicherungen für afrikanische Länder, die Ausweitung des Preis-Risikomanagement-Programms auf Afrika und ein größeres Landwirtschaftsportfolio bei den Mikrofinanzpartnern: Drei Vorschläge, mit denen Oikocredit ihr Engagement für Kleinbäuer*innen im globalen Süden verstärken will. Möglich wird das durch die Beteiligung an SSNUP, einem Projekt, das Größe hat. Ging Ledesma, Direktorin Soziales Wirkungsmanagement und Innovation, stellt es im Gespräch vor.
Wie und mit welcher Absicht ist SSNUP entstanden?
Ging Ledesma: SSNUP (Smallholder Safety Net Upscaling Programme) ist ein Programm, das von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und der Luxemburger Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Angelegenheiten in Kooperation mit Lux-Development entwickelt worden ist. Koordiniert wird es von ADA (Appui au Développement Autonome). Neben Oikocredit sind vier weitere große Impact-Investoren daran beteiligt: Grameen CréditAgricole Foundation, Incofin, responsAbility und Symbiotics. Das Programm setzt auf die Expertise und die Erfahrung der Impact-Investoren, die bereits vor Ort aktiv sind. Ziel ist, die Produktivität und die Resilienz von Kleinbäuer*innen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu stärken, ihnen ein nachhaltiges und größeres Sicherheitsnetz zu verschaffen, die landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten, Jobs und Nahrungssicherheit zu fördern. Aufgabe der Impact-Investoren ist es, finanzielle und nicht-finanzielle Lösungen zur Minderung der landwirtschaftlichen Risiken zu entwickeln und zu testen, sie skalierbar zu machen und deren Anwendung zu sichern. Das 55 Millionen Euro-Programm ist auf zehn Jahre angelegt und soll am Ende zehn Millionen Bäuer*innen in voraussichtlich 92 Ländern helfen.
Was ist das Besondere, das Innovative an SSNUP?
Wirklich neu ist zunächst einmal, dass die fünf größten Impact-Investoren zusammengebracht werden, deren jeweils verwaltetes Vermögen zwischen 92 Millionen und dreieinhalb Milliarden Euro liegt und die zwischen 10 und 100 Prozent ihres Portfolios in Landwirtschaft investieren. Sie alle auf kleinbäuerliche Landwirtschaft zu fokussieren, ist in dieser Dimension neu und ermöglicht es uns, groß denken und handeln zu können. Zudem geht es darum, gemeinsam etwas wirklich Innovatives zu entwickeln, das den Kleinbäuer*innen zu mehr Stärke und Resilienz verhilft.
Warum beteiligt sich Oikocredit an dem Programm?
Unser Herz schlägt für die Landwirtschaft. Kleinbäuerliche Landwirtschaft ertragreicher und nachhaltiger zu machen und die Lebensbedingungen von Kleinbäuer*innen zu verbessern, ist von Anfang an ein Kernanliegen von Oikocredit gewesen. Zugleich ist es wegen der vielen Unwägbarkeiten und der verschiedenen Kontexte die größte Herausforderung. Wir wissen, dass die Mehrheit der Armen auf dem Land und von der Landwirtschaft leben, und wir wissen aus Erfahrung, dass Landwirtschaft in vielen Ländern, in denen wir aktiv sind, nicht die Unterstützung bekommt, die sie benötigt. Ländliche Regionen sind zudem diejenigen, die als erste und am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Wenn wir also wollen, dass Menschen den Weg aus der Armut finden, müssen wir ihre Resilienz dauerhaft stärken, damit sie nicht beim ersten Unwetter in Armut zurückfallen. Die Idee von SSNUP, das Sicherheitsnetz für Kleinbäuer*innen auszuweiten, mit Versicherungen, Klimasmarter Landwirtschaft, Zugang zu Finanzierungen, zu neuen Technologien und Schulungen für deren Anwendung hat uns deshalb sofort überzeugt. Zudem haben wir über die Beteiligung am SSNUP-Programm zusätzliche Mittel zur Verfügung, für die ersten drei Jahre 1,5 Millionen Euro. Im Gegenzug investieren wir unsererseits Mittel und Arbeitskraftressourcen. Fachleute aus Sozialem Wirkungsmanagement und Capacity Building und unsere Landwirtschaftsexpert*innen werden an dem Programm mitarbeiten. Wir hoffen auf zwei Dinge: Wenn die Arbeit der Landwirtschaftspartner sicherer wird, haben wir die Möglichkeit unser Agrarportfolio auszuweiten. Gleichzeitig haben stärkere Partnerorganisationen mehr Zugang zu weiteren Geldgebern außerhalb von Oikocredit, für die sie dann attraktiver werden.
Dass Kleinbäuer*innen weltweit viel mehr Unterstützung, Zugang zu Märkten und Ressourcen und eine faire Gewinnbeteiligung an den Wertschöpfungsketten brauchen, ist lange bekannt. Warum hat sich die Initiative gerade jetzt gegründet?
WIR MÜSSEN LÖSUNGEN FINDEN. JETZT
Die Auswirkungen des Klimawandels werden zunehmend deutlicher. Wir sehen, wie ländliche Gemeinschaften durch den Anstieg des Meeresspiegels überflutet und zu Küstenlandschaften werden, andere Gebiete werden durch anhaltende Dürre zu Trockenregionen. Das entzieht den Menschen die Grundlage für ihren Lebensunterhalt und führt dazu, dass viele von ihnen in die Städte abwandern. All das gab es vorher schon, aber die Dringlichkeit wird momentan stärker wahrgenommen. Wenn wir jetzt keine Lösungen finden, wird es bald zu spät sein. Die Grundlagen für die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung sind massiv gefährdet.
Wie will Oikocredit dazu beitragen, dass das SSNUP-Programm sein Ziel erreicht?
Wir kombinieren verschiedene Ansätze. Unsere Genossenschaft hat derzeit drei Vorschläge, an denen wir arbeiten: Wetterindexversicherungen für afrikanische Länder, die Ausweitung des Preis-Risikomanagement-Programms auf Afrika und die Ausweitung der Landwirtschaftsportfolios bei den Mikrofinanzpartnern. Eine wichtige Frage für uns ist: Wie können wir den Farmer*innen mehr Finanzierungslösungen verschaffen? Es ist ja nicht einfach so, dass die Mikrofinanzinstitutionen sie vergessen haben. Man muss die richtigen Produkte entwickeln, die die entlegene Lage, die Abläufe und die Risiken in der Landwirtschaft berücksichtigen. Die Mitarbeiter*innen müssen geschult werden. Es stellen sich viele Fragen: Wie werden die Finanzierungen ausgezahlt? Wie unterstützt man die Farmer*innen, damit sie ihre Kredite zurückzahlen können? Wie geschieht das Monitoring? In städtischen Gebieten bieten die Mikrofinanzinstitutionen Geschäften auch im informellen Sektor Dienstleistungen für die Geschäftsentwicklung an, wie sähe das Äquivalent dazu im landwirtschaftlichen Bereich aus? Unser Preis-Risikomanagement-Programm, das wir für das nördliche Lateinamerika konzipiert haben, wird nun für Ruanda und eventuell Uganda angepasst. Das gesamte Material muss aus dem Spanischen ins Englische übersetzt werden. Zudem arbeiten Kaffeeorganisationen in Afrika anders als in Lateinamerika. Wir brauchen also zunächst einmal gute Informationen. Unsere Mitarbeiter*innen werden, sobald das wieder möglich ist, die Organisationen aufsuchen, ihre besonderen Bedingungen prüfen, sehen, was sie brauchen, wo ihre Stärken und ihre Schwachstellen sind. Dann bieten wir angepasste Schulungen an, sei es zu besserem Management oder zum besserem Umgang mit den Preisrisiken. Eine echte Erweiterung unserer Arbeit ist der Einsatz von Wetterindexversicherungen. Aktuell haben wir nicht viele Versicherungsprodukte im Angebot, besonders nicht für Kleinbäuer*innen.
Wie genau funktioniert eine Wetterindexversicherung, welche Voraussetzungen sind für die Entwicklung nötig?
Besonders ist, dass die Versicherung nicht erst ausgezahlt wird, wenn ein erkennbarer Schaden vorliegt, sondern bei Eintritt eines Wetterereignisses, wenn beispielsweise die Niederschlagsmenge in einem vereinbarten Zeitfenster an einer vorher vereinbarten Wetterstation unterschritten wird. So vorzugehen spart Kosten, weil es vorbeugt und lässt eine präzisere Risikobewertung aufgrund langjähriger Wetterdaten zu. Um ein solches Produkt zu entwickeln, braucht man aber sehr genaue Kenntnisse. Wir müssen Basisforschung vor Ort betreiben, Messungen durchführen, Daten zu den Wetterverhältnissen erheben und zusammenführen. Man erstellt anschließend beispielsweise einen Index für jedes einzelne Getreide, wie Reis oder Mais, und entwickelt ein Geschäftsmodell für jedes Produkt. Dann muss eine digitale Plattform entwickelt werden, auf der sich Menschen in ländlichen Gebieten informieren können, wann sie Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen können. Das alles können wir nur mit zusätzlichen Fachleuten und Mitarbeiter*innen leisten.
Mit welchen Partnern wird Oikocredit für die SSNUP-Projekte zusammenarbeiten?
Insgesamt wollen wir mit zwölf neuen Organisationen zusammenarbeiten, einige sind erst seit kurzem Partner, andere sollen erst noch Partner werden. Wir haben vorerst mit drei Partnerorganisationen angefangen, die Wetterindexversicherungen für Kleinbäuer*innen vorzubereiten. An diesem Projekt werden vier Länder beteiligt sein: Senegal, Côte d’Ivoire, Mali und Burkina Faso. Unser Partner „Inclusive Guarantee“ wird auf der Basis der Untersuchungsergebnisse seine bereits vorhandenen Indexversicherungen skalieren und auf kleinbäuerliche Bedürfnisse anwenden, das Produkt entwickeln und die Anwendung koordinieren. In Ruanda haben wir jetzt die Partner ausgewählt, die am Preis-Risikomanagement-Programm teilnehmen werden. Dort werden wir ebenfalls mit einem Beratungsunternehmen zusammenarbeiten, das mit dem Programm vertraut ist. Wir selber könnten es auch nicht leisten, den Mikrofinanzorganisationen dabei zu helfen, Produkte speziell für die Bedarfe in der Landwirtschaft oder Versicherungen zu entwickeln. Auch dafür braucht es Spezialisten. Unsere Aufgabe ist es, zu koordinieren und zu organisieren.
Es gibt viele äußere Faktoren und Voraussetzungen wie Infrastruktur, staatliche Regulierungen, internationale Handelsbedingungen, von denen SSNUP abhängig ist. Können die beteiligten Investoren eine anwaltschaftliche Rolle für die Belange der Kleinbäuer*innen wahrnehmen, können sie auch politisch handeln?
Wir können keine Lobbyarbeit machen. Aber allein die Tatsache, dass wir zwei nationale Organisationen an Bord haben, stimmt mich hoffnungsfroh. Zumal die Organisationen Regierungsfonds nutzen und auch sonst äußerst aktiv sind. Die Armut auf dem Land hat viele Ursachen: Wetter, Klimawandel, mangelnde Kenntnisse und Fertigkeiten auf der Höhe der technischen Entwicklung, mangelhafter Zugang zum Markt und zu Finanzierungen, unfaire Praktiken. Das SSNUP-Programm macht es möglich, mehr Aspekte als bisher in den Blick zu nehmen und Lösungen zu finden. Die fünf größten Impact-Investoren gemeinsam können mehr erreichen als einer allein, wir bekommen ein Forum, auf dem wir uns austauschen, Wissen teilen und miteinander arbeiten können. Für die nahe Zukunft hoffe ich aber zunächst einmal, dass der Verlauf der Covid-Pandemie es zulässt, dass wir in der zweiten Jahreshälfte wirklich vor Ort loslegen können. Wir können momentan planen und vorbereiten, aber ab einem gewissen Punkt braucht man den direkten Kontakt mit den Menschen.
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