Wer den Kaffee macht, braucht das Geld
Zwei Milliarden Tassen Kaffee täglich. 200 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr. Tastings, Coffee-to-go überall, Pads, Kapseln, 4.000-Euro-Kaffeemaschinen für die Küche. Wieso ist Francisco Pintado Luna dann so froh, dass seine acht Söhne mit Kaffeeanbau nichts am Hut haben?
Dalinda Castillo ist Präsidentin des Frauenkomitees der Kaffee-Kooperative Aprocassi , einer der Genossenschaften, mit denen Oikocredit im Norden Perus zusammenarbeitet. Die Frauen in der Genossenschaft sind selbst Landbesitzerinnen und Kaffeeproduzentinnen und betreiben eine Cafeteria in der Stadt San Ignacio. Die auf 1300 Metern Höhe gelegene Stadt ist nach Lima und Jaén die dritte Etappe der Oikocredit Study Tour im Dezember. Die Cafeteria ist ein Ort des Genusses und der Begegnung. Dalinda Castillo bittet an den Tisch und zum Gespräch. Später wird sie die Gelegenheit nutzen, mit uns Francisco Pintado Luna zu besuchen, dessen Kaffeefarm eine Stunde Pistenfahrt bergauf und einen heißen Fußweg bergab im Regenwald liegt.
Die Präsidentin bearbeitet ihre Plantage allein, die Kinder helfen, die jüngsten leben noch bei ihr, vier sind schon aus dem Haus. „Kaffee“, sagt sie, „ist ein Produkt von hoher Qualität, die Preise sind höher als für andere landwirtschaftlichen Erzeugnisse – und ich komme aus einer Familie von Kaffeebauern und -bäuerinnen.“ So viel zu den Gründen, warum sie Kaffee produziert. Ihre Plantage ist nur einen Hektar groß, die Hälfte von dem, was die Mitglieder bei Aprocassi, knapp 600 sind es derzeit, darunter 70 Frauen, durchschnittlich haben. Sie kann vom Kaffee nicht leben, sagt Dalinda Castillo, sie hält Vieh, baut etwas Gemüse an und arbeitet in der Verwaltung der Kooperative. Die Kooperative ist ihre Gemeinschaft, man unterstützt sich gegenseitig. „Wir halten zusammen“, sagt sie, „die Produzent*innen sind nette, starke Leute“.
Zehn Prozent für die Produzent*innen
Zusammenhalt ist bitter nötig. Die Folgen des Klimawandels und – teils damit zusammenhängend – hohe Preisrisiken im Kaffeesektor machen den kleinbäuerlichen Betrieben im globalen Süden das Leben schwer. Vom Megageschäft mit dem Kaffee profitieren vor allem große Konzerne und Staaten im Norden – auf dem Rücken der Erzeuger*innen und Erzeugerländer, wie eine Studie des Forschungsinstituts BASIC im Auftrag der Fair-Handels-Organisationen Commerce Equitable France und Max Havelaar France sowie des Netzwerks „Repenser les filières“ (zu Deutsch „Wertschöpfungsketten neu denken“) jüngst belegte1. „Die Erzeugerländer erhalten nur einen geringen Anteil des in der Branche erwirtschafteten Wertes, während sie die meisten sozialen und umweltbedingten Folgen der Lieferkette zu tragen haben“, heißt es darin. Während große Röstereien und Händler*innen immer größere Gewinne machen, hat sich, so die Studie, das Realeinkommen der Bäuer*innen den 1980er Jahren halbiert. Im Jahr 2017 seien in Peru beispielsweise nicht mehr als etwa zehn Prozent des durchschnittlichen, von den Konsument*innen gezahlten Kaffeepreises bei den Kaffeebäuer*innen angekommen, vom Endverkaufspreis des portionierten Kaffees sogar nur 2,7 Prozent – bei steigenden Produktionskosten. 2018 fiel der Weltmarktpreis für Arabica-Rohkaffee zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder unter einen US-Dollar für das Pfund. Ursache des anhaltenden Preisdrucks sind Wechselkurse, aber auch Rekordernten bis hin zu Überproduktionen wie aktuell in Ländern wie Brasilien, die Kaffee auf riesigen Plantagen in rauen Menge produzieren.
Feinste Qualität aus Perus Norden
In Peru wird Kaffee in erster Linie in kleinbäuerlichen Betrieben angebaut. Damit die Produzent*innen überhaupt eine Chance gegen die Großkonzerne auf dem Weltmarkt haben, sind die meisten von ihnen in Kooperativen organisiert. So ist es auch in der Region um San Ignacio im Norden des Departamentos Cajamarca, wo 40 000 Familien vom Kaffeesektor leben und abhängig sind.
Im nördlichen Teil der Region wird feinster peruanischer Kaffee produziert. 1.500 bis 3.000 Dollar im Jahr erwirtschaften die Farmer*innen bei Aprocassi damit im Schnitt. Dafür arbeiten sie nicht selten von vier Uhr morgens bis zehn Uhr abends, wie Francisco Pintado Luna beim Gang durch seine Plantage erzählt und dabei gelassen auf die Sticheleien zu seinem blauweißen Argentinien-Trikot reagiert. „Während der Erntezeit muss man nahezu um Helfer*innen betteln“, sagt er; wenn er nicht, neben Familie und Freunden, die ohnedies mit anpacken, genügend Leute findet, können die überreifen Früchte verderben, Schädlinge und Pflanzenkrankheiten sich ausbreiten. Die Familie hat keine Ersparnisse, das Geld reicht knapp zum Leben und für die Ausbildung der Kinder. Kein Wunder, dass Francisco Pintado Luna beinahe stolz erzählt, dass keiner seiner acht Söhne Kaffeebauer wird.
Kundschaft im In- und Ausland
Er produziert hochwertigen Bio-Kaffee, will seine Plantage weiter diversifizieren, um die Qualität zu verbessern. Dabei helfen die technische Unterstützung, die er von Aprocassi bekommt und die Möglichkeit, über die Kreditabteilung Aprocredi Darlehen zu erhalten. Seine Farm El Cedrillo liegt in Ihuamaca auf 1750 Metern Höhe am Eingang zum Nebelwald im Naturschutzgebiet Sanctuarío Nacional Tabaconas Namballe. Unglaublich grün und schön und heiß ist es hier. Nicht zuletzt wegen der Schönheit und Biodiversität seien die Menschen sich des ökologischen Aspekts ihrer Arbeit sehr bewusst, sagt der Farmer. Dass er seinen Kaffee organisch anbaut, helfe ihm, besser über die Runden zu kommen. „Ich bekomme höhere Preise und für den agroforstlichen Anbau Unterstützung bei der Bepflanzung mit Schattenbäumen.“ Rund drei Viertel der Mitglieder von Aprocassi produzieren
Bio-Kaffee, die anderen sind dabei umzustellen. Aprocassi hat sich einen nationalen und internationalen Kundenstamm aufgebaut, um hochwertige Bio- Produkte zu Fairhandelspreisen zu gewährleisten. Die Siegel bieten den Käufer*innen zusätzliche Sicherheit und den Anbaubetrieben einen höheren Preis. Aprocassi versucht, den Staat in die Pflicht zu nehmen mit neuen Curricula für Landwirtschaftsschulen; wie alle Kaffee-Kooperativen möchte Aprocassi jungen Menschen eine Alternative zur Landflucht eröffnen. „Oikocredit ist seit 2012 ein wichtiger Partner für die Kooperative“, sagt Aprocassis Präsident Warenbahwer Neyra. Das aktuelle Darlehen deckt bis zu 70 Prozent der Kosten für die Jahresernte.
Leiden unter dem Klimawandel
Oikocredit konzentriert sich zunehmend auf den Kaffeesektor, auch in Peru. „Landwirtschaft zu finanzieren ist risikoreich, aber hier können wir ökonomisch und ökologisch wirklich viel erreichen“, sagen Werner Thorne, Leiter des Oikocredit-Büros Peru und seine Kollegin María Del Carmen Gallo, die für die Landwirtschaftsprojekte zuständig ist. Neben Besuchen vor Ort lädt das Oikocredit-Büro die Partner in der Landwirtschaft einmal im Jahr zu einem Treffen nach Lima, damit sie Erfahrungen austauschen können und dazulernen. „Zu erleben, wie eine kleine Kaffee-Kooperative, die anfangs 150 Mitglieder hatte, die 7000 Säcke Kaffee erzeugten, seit der Zusammenarbeit mit Oikocredit wächst und mit 450 Kleinbauern und -bäuerinnen 25 000 Säcke hochwertigen Kaffee im Jahr produziert, ist ermutigend“, sagt Thorne. Dabei ging in den vergangenen Jahren die Kaffeeproduktion in lateinamerikanischen Ländern deutlich zurück. Allein in Peru sank sie um bis zu zwanzig Prozent – hauptsächlich aufgrund klimabedingter Pilzkrankheiten wie Kaffeerost. Damit Partner solchen Problemen begegnen können, unterstützt Oikocredit sie mit Kapital zu besonderen Konditionen, beispielsweise mit variablen Rückzahlungen im Falle von Ernteausfällen. Beratung und Schulungen sollen sie zudem fit machen, um sich auf veränderte klimatische Bedingungen einzustellen.